Übersetzung aus Mylène Farmer «Lisa – Loup et le conteur» © Editions Anne Carrière 2003

(Übersetzung durch Monique Dollinger)





Abschnitt 2 – Der Friedhof



Jetzt ist es Zeit, Lisa packt ihre sieben Sachen und sie gehen.

Sie durchqueren schnell die Stadt und gehen dann Richtung Friedhof, um Großmutter auf Wiedersehen zu sagen. Sie finden sich wieder vor einem ganz, ganz großen Tor... Ganz, ganz zu, noch dazu!
Welch ein Nein! weder Lisa noch ihr neuer Freund fühlen sich bedroht, sie sind nicht nur beide sehr klein, auch ein bisschen platt... und sie werden sich werden schräg durchschlängeln...
Genauso früh gesagt, genauso früh getan!

Lisa und Loup nähern sich der Grabstätte als plötzlich:

SIE HÖREN DIE ERNSTE STIMME EINES MANNES...

Eine Stimme, die sich an niemanden zu adressieren scheint; dennoch sitzend auf einem Sarg, redete, redete und redete der Mann. Lisa hörte nicht genau was er sagte, da der Wind Kreisel drehte! Beide beobachteten ihn, aber machten keinen Krach. Der Mann redete gut zwanzig Minuten, aber Lisa und Loup waren schon weit entfernt.

„Oma, ich stelle dir meinen Freund vor”, sagte das Kind.
„Ich bin heute nicht allein! Loup... Oma... Oma... Loup. Bitte, das wär's!”

Und Loup verneigt sich, aber nicht des Respektes wegen (nur um den eingravierten Namen zu lesen!).


„Mit einem Stein zu reden ist eine komische Idee!” denkt Loup ein bisschen zu laut.
„Du kommst sogar aus einer Matratze...” antwortet Lisa „Ich, meine Großmutter ist da, wir können nicht das ignorieren, was Augen nicht sehen!“
„Ich existiere nicht”, sagt Loup.
„Aber das ist überhaupt nicht wahr! Das Leben spannt uns die Arme. Siehst du...”


Im selben Moment entschied sich der Mann, der lange redete, dass es Zeit ist, zu gehen.
Es ist spät... Ein bisschen krumm wie schwerfällig von einer Traurigkeit besessen, verlässt er diesen Ort, ohne Spiegel, ohne Leben, ohne Scheinwerfer.

„Mit sich zieht er ein komisches Geheimnis”, bestätigt Lisa.
Etwas, das sie kennt,

denn ihre Nase juckt!

Also beeilen sich Lisa und Loup ihm zu folgen, aber mit Abstand. (Vor allem kannten sie diesen mysteriösen Mann nicht, wussten nur das, was schon gesagt ist: er redet... er redet... Ah! Falls ich es vergesse! Er trägt auch einen komischen Bart.)

Draußen ist es Nacht, aber Loup hat davor keine Angst.
Die Matratzen, die kennt er... das Licht kommt nicht hindurch. Er könnte sich gut beunruhigen durch fremde Geräusche, das Miauen von Katzen des Viertels oder sogar des knarrenden Kiesweges.
Aber dies alles hat nicht viel Wichtigkeit denn:

Loup hört nichts.

Der Mann läuft lange genug.
Ohne Zweifel, auch zu schnell :
die beiden sind verpflichtet gleichzeitig zu rennen!

„Welch eine Sorge”, sagt Lisa, „ welch eine Sorge”... Aber der große Mann hört nicht.

Endlich hält er vor einem der ganzen Länge nach schönem Haus.

„Wie die Beine von Großmutter”, denkt Lisa




Überall Fenster, eine gelbrote Tür und der Schlüssel öffnet bereits mit zwei Umdrehungen das Haus, ein Igloo.
Der Mann wird sich schlafen legen.
Lisa ist müde.



Sie schmuggeln sich beide in das Haus, das gut nach alten Büchern und Bonbons riecht. Das leere Zimmer im ersten Stock scheint perfekt zu sein. Loup rutscht unter die Matratze.

Er soll ganz platt bleiben... er kennt nur das!


Lisa rollt sich auf dem Federbett zusammen und schläft ein wie ein Kätzchen! Aber sie wacht mit einem Aufschrei auf und um ihn nicht zu verwundern, mit einer leichten Hand sich versichernd, dass Loup gut plattgedrückt unter ihren Lenden ist!

„Ich habe einen Freund und selbst, wenn er nichts hört... Großmutter, siehst du, ich werde mich um ihn kümmern“, flüstert sie.

Noch eine Sache störte Lisa und hinderte sie wieder einzuschlafen :
Der Mann und ein Mantel des Kummers... Etwas Familiäres...

„Auch er hat seine Großmutter beerdigt! Und niemanden, um ihm Märchen zu erzählen!...“

Aber sicher!
Es war die Nase, die juckte!
Aber, arme Lisa, eine schlechte Neuigkeit hatte sie nieder gerafft,
seit sie im Morgengrauen bei Tagesanbruch das Nasenstück reckte.

Der Mann war verschwunden, ohne ein einziges Wort zu sagen...

Es war am frühen Morgen, als sie sich darüber bewusst wurde.
Sie ist sehr früh aufgestanden, um ihm die Hand zu geben, aber das Zimmer war leer und das Bett ohne ihn! Und nicht das kleinste Anzeichen einer verbrachten Nacht auf dem Kopfkissen.

Lisa ist so enttäuscht... Und welche Enttäuschung!

Sie hatte so sehr gehofft, den Unbekannten zu treffen. Es erschien ihr, eine Tür gehört zu haben, die knallte...
Aber sie träumte vom Wind, der Queckenwurzeln kaute.

„Man soll nicht mit vollem Mund kauen!” schrie er ihr zu im Schlaf, „du machst viel zu viel Krach, ich höre den Regen nicht!”

Aber dieser, als einzige Antwort, und um sie ein bisschen zu erschrecken, zeigte er ihr rücksichtslos einige der scharfen Zähne, ähnlich denen eines Haies! Und um alles zu krönen, ließen sie sie in ihr klappern...

Geräusche der Zähne, Krach der Tür, das alles hat sich in ihrem Schlaf vermischt!

„Das ist also das Leben? Es gibt euch eine Gnadensfrist und dann nimmt es sie wieder unablässig weg?”

leidet Lisa.

Sie würde gerne verstehen, warum der Mann ihr keine Zeit gelassen hat, damit sie ihm erzählen kann, dass sie gerade ihre Großmutter verlassen hat, die auf dem Friedhof ist, dass sie endlich bereit war, obwohl Loup da war, für das große Abenteuer, für Regengüsse des Lesens.

Dies ist es dieses Mal nicht, ihre Nächte haben immer noch den Geschmack von „warum das – warum ich?”


Abschnitt 1
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Mylène FArmer