Übersetzung aus «Mylène Farmer – Mystérieuse sylphide» von David Marguet, © Editions la Mascara, 2000
(Übersetzung durch Peter Marwitz)
Prélude-Bild

Auftakt

«Ich glaube, daß ich ohne Sex leben könnte... Aber nicht ohne Fantasmen. Ich lebe von Fantasmen, und es ist eine Demütigung, zu wissen, daß ich sie nicht alle befriedigen kann.»



ylène Farmer macht, unter dem Deckmantel der schüchternen/zurückhaltenden Frau, regelmäßig von sich reden, indem sie aufrührerische Clips herausbringt, deren Geheimis nur sie kennt. Drei Mal erregten ihre Clips den Zorn der Zensur, weil sie sogenannte «skandalöse» Bilder zeigten.

Der Clip Plus grandir war der erste, der die Aufmerksamkeit der Zensoren erlangte. Der erste Clip mit großem Budget für seinen Regisseur Laurent Boutonnat, stellt er eine außerordentliche Inszenierung dar. «Es sind vor allem religiöse Fantasmen (ich wurde lange Zeit von Jesuiten erzogen), und sie sind auf jeden Fall mit der Welt der Kindheit verbunden. All diese kleinen Dinge, die, wenn man klein ist, uns Angst machen. Ich habe versucht, sie in meinen Clip zu übertragen, wie diese phosphorizierende, animierte Jungfrauenstatue, oder das Auftauchen der Nonnen. Wenn man genau hinhört, kann man wahrnehmen, daß der Text vom Tod, von der Kindheit und dem Ende der Jungfräulichkeit erzählt. Gleichzeitig kann man natürlich auch extrapolieren und darüber in anderen Ausdrücken sprechen», berichtet Laurent nach dem Erscheinen des Clips. Und deshalb hat der Clip schockiert. In der Tat wurden Bilder von Vergewaltigung mit religiösen Symbolen assoziiert, und das nicht, um damals zu gefallen... Während ihres Schlafes, als Gott über das schlafende Kind wachen sollte, dringt ein Unbekannter in das Zimmer von Mylène ein und raubt ihr die Reinheit des Kindes. Die Szene ist deutlich/explizit, Mylène ist nackt, belästigt von ihrem Agressor, nichts wird verborgen, was dazu führte, daß einige Sender die Ausstrahlung dieses dennoch großartig gedrehten Clips ablehnten. Man berührt die Religion nicht ungestraft! Aber Laurent Boutonnat und Mylène ließen sich auch von den wütendsten Schmährufen nicht beirren und entschlossen sich, den Clip nicht zu verändern, selbst unter dem Joch der Zensur. «In den Taschentüchern, naß, benutzt, sind die Küsse so verschmutzt...»

Beyond my control ist der zweite Clip, dessen Ausstrahlung tagsüber verboten wurde. Der Clip ist kühner als je zuvor. Die aufrührerische Mylène besucht mit der Hilfe ihres Pygmalions Laurent Boutonnat ein weiteres Mal die Themen, die den weltweiten Erfolg der Gefährlichen Liebschaften von Laclos ausgemacht haben. Von einer dämmrigen Schönheit stellt diese Legierung (? «alliage») eine kunstvolle Mischung aus Blut, Sex und bösartigen Bildern von Wölfen, die einen menschlichen Kadaver zerfleischen, dar. Mylène schmachtet vor Liebe, Haß und Schmerzen auf einem brennenden Scheiterhaufen, das Urteil ist nahe. Sie entdeckt ihren Liebhaber in den Armen einer anderen, ihre Körper sind eng umschlungen... Zerfleischende und vampireske Triebe brechen anschließend in ihr durch. In einer letzten Regung gibt sie diesem Verräter einen ultimativen/endgültigen Kuß... den Kuß des Todes. Diese Ansammlung grausamer Bilder löste einen Skandal aus. Das Liebestollen von Frédéric Lagache (in den heißesten Szenen von Christophe Danchaud gedoubelt) mit seiner Geliebten hatte den Bannstrahl nicht der Öffentlichkeit, sondern der Kritiker hervorgerufen. Manche Zeitung oder Zeitschrift hatte sich über diese Verwegenheit aufgeregt. Aber die Öffentlichkeit war nicht dieser Ansicht, Mylène ist bekannt für ihr Verlangen, immer weiter zu gehen, Tabus und Verbote zu brechen. «Sex war ein Schutzwall. Von dem zu sprechen, was ich in meinem Herzen und meiner Seele empfinde, bedeutet, sich zu entblößen. Die Perversion der einen kann die Normalität der anderen bedeuten. Es ist eine Frage der Toleranz...»

Der bis heute letzte Clip, der zensiert wurde, ist derjenige zu Je te rends ton amour. Von François Hanss gedreht wurde er von einer Jury aus Müttern als «blasphemisch, blutig und unnötigerweise erotisch» beurteilt. «Die Vorstellung von Zensur stößt mich ab. Sich zu verbieten, Dinge zu sagen, ist keine Lösung. Tabus haben immer verhindert, daß man weiterkommt», erklärt Mylène. Der Cocktail aus Sex, Blut und Religion hat also aufs Neue Verwüstungen angerichtet. In der Tat hat dieser Clip am stärksten schockiert. Mylène betritt als Blinde einen Beichtstuhl. Ein Mann in Schwarz folgt ihr, versucht dann, Besitz von ihr zu ergreifen. Währenddessen ist sie noch von den göttlichen Mächten geschützt. Aber indem sie sich entscheidet, den Schwur ewiger Liebe zu brechen, kann das Böse die Macht über sie erlangen. Er nimmt sie, ihre Liebesspiele sind blutig... Mylène ist nackt, in einem Bad aus Blut, zusammengekrümmt atmet sie den Tod... Man sieht sie auch gekreuzigt, mit Blut beschmiert... Mylène wird als eine düstere Frau wiedergeboren, schwarz gekleidet, und läßt dieses im Blut bandende Wesen hinter sich, ihre Unschuld für immer verloren... Die letzte Einstellung zeigt die Hand von Mylène ihren Bund/Verbindung im Blut versenken, und damit auf ewig ihre Liebe mit der Dunkelheit besiegelnd... Dieser Clip halt also alles, um zu schockieren. Tagsüber wird auf den Sendern eine gekürzte Version ausgestrahlt, während die vollständige Fassung nur sehr selten, und wenn dann nach Mitternacht gezeigt wird. Sich gegen diese Entscheidung auflehnend entscheidet sich Mylène das Video so bald wie möglich zusammen mit einem Faksimile, das Auszüge aus dem Storyboard und einige der schönsten Photos enthält, die Claude Gassian bei den Dreharbeiten geschossen hat. 70.000 Stück dieser Kassette werden abgesetzt, es ist ein Erfolg. «Mylène Farmer: das verbotene Video». Alle Einnahmen werden der Sidaction (einer Initiative gegen AIDS) zur Verfügung gestellt, Mylène geht aufs neue als Siegerin aus diesem Kampf hervor. «Du, der du es zugelassen hast, daß ich mich komprommitiere. Ich wäre die Einzige für tausende von Augen, eine Nackte des Meisters... Ich gebe dir deine Liebe zurück...»


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Kapitel 6
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Mylène FArmer